Jobsuche Ü50: Altes Eisen oder Gold wert?

"Mit 66 ist noch lange nicht Schluss" lautet eine Zeile aus einem der grössten Hits von Udo Jürgens. Verfolgt man allerdings die jüngsten Negativmeldungen zum Thema Stellensuche älterer Arbeitnehmer, entsteht schnell der Eindruck, als hätten Stellenwechsler bereits ab 50 oder gar 45 Jahren kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ältere Arbeitnehmer gelten häufig als zu teuer oder ihnen wird unterstellt, dass sie der Digitalisierung nicht gewachsen sind. Sicherlich ist es kein Zuckerschlecken, wenn man mit über 50 Jahren seine Stelle verliert oder den Job wechseln will, der aus welchen Gründen auch immer nicht mehr geht. Aber gehört man in diesem Alter wirklich schon zum "alten Eisen" und ist völlig chancenlos auf dem Arbeitsmarkt? Ob die Jobsuche letztendlich von Erfolg gekrönt wird, hat meiner Meinung nach viel mit dem eigenen Selbstbild zu tun.

 

Gerade ältere Stellensuchende haben ihr bisheriges Berufsleben oftmals als eine einzige Erfolgsgeschichte erlebt. Wenn sie überhaupt je einen beruflichen Wechsel vorgenommen haben, ist dieser meist reibungslos über die Bühne gegangen. Da ist es vollkommen verständlich, dass jede Absage auf eine Bewerbung, die mit ernsthaften Hoffnungen verbunden war, persönlich genommen wird. Absagen hinterlassen immer Spuren und knabbern ungemein am Selbstbild, egal wie alt ein Bewerber ist. Aber vor allem dann, wenn man solche Rückschläge bislang nicht kannte. Viele Stellensuchende beginnen wegen der vielen Absagen an ihren Fähigkeiten zu zweifeln und stehen kurz davor, frustriert und mutlos die Flinte ins Korn zu werfen. Im Bewerbungs- und Karrierecoaching höre ich dann Dinge wie "Ich bin wertlos auf dem Arbeitsmarkt", „Ich habe nicht mehr das nötige Selbstbewusstsein zum Jobsuchen“, „Ich werde nie einen Job finden“, „Das ist genau wie damals, als ich...“, „Vielleicht sollte ich es einfach sein lassen“. Wenn dann auch noch die Nachrichten über die Chancen älterer Stellensuchender auf dem Arbeitsmarkt negativ dargestellt werden, sehen sich viele erst recht in ihren Befürchtungen bestätigt. Übermässige Selbstzweifel und Ängste versperren dann vielen Bewerbern den Weg, um selbstbewusst der Herausforderung Jobsuche entgegenzublicken (vgl. "Hilfe. Wenn Jobabsagen zum Alltag werden").

Glauben Sie auch, dass nur junge Hüpfer auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben? Dass für alte Eisen wie Sie der Zug längst abgefahren ist? Sind Sie traurig, verzweifelt und pessimistisch, wenn Sie an Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt denken? Fühlen Sie sich ausgeliefert und machtlos und sehen Sie generell Ihre berufliche Zukunft pechschwarz? Haben Sie das Gefühl, nichts mehr wert zu sein? Vergessen Sie diese Gedanken. Hören Sie auf, so selbstbeschränkend zu denken. Denn es stimmt nicht. 

 

SIE SIND WERTVOLL!

SIE SIND RICHTIG, RICHTIG GOLD WERT! 

SIE WISSEN NUR GAR NICHT MEHR, WAS ALLES IN IHNEN STECKT.

 

Das ganze Grübeln über Ihre Absagen und Ihre missliche Lage hat Ihren Fokus fast ausschliesslich auf Ihre vermeintlichen Defizite, Schwächen gelenkt. Grübeln kann unwiderstehlich sein. Hat uns das Grübeln erst einmal im Griff, macht es mit uns, was es will. Selbstverständlich haben Sie gegenüber den "Jungspunden" nicht nur Vorzüge zu bieten und Sie können sich nicht auf Ihren Lorbeeren ausruhen. Aber rechtfertigt diese Tatsache, alles andere ausser Acht zu lassen? Erfolge und Stärken, die jeder Mensch hat, nicht zu würdigen? Motivation funktioniert auf diese Weise nicht, aber Selbstsabotage. Wenn Sie sich nur noch auf Ihre vermeintlichen Defizite fokussieren, werden Sie sich irgendwann nicht mehr auf Ihre Bewerbungen konzentrieren können und unter Umständen vollkommen deprimiert aufgeben. Dann verwandelt Ihre verzerrte Selbstwahrnehmung sich letztendlich in eine selbsterfüllende Prophezeiung. Aus der Resilienzforschung ist bekannt, dass je besser Menschen sich ihres Selbstwertes bewusst sind, desto weniger geraten sie in stressigen und schwierigen Situationen unter Druck. „Erkenne dich selbst“ stand einst über dem Orakel zu Delphi. Eine guter Ansatz finde ich, um das durch den bisher erfolglosen Bewerbungsprozess verzerrte Selbstbild wieder gerade zu rücken. 

 

Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie für sich im Leben bereits alles erreicht haben? Worauf sind Sie stolz, wenn Sie auf Ihr Privatleben zurückschauen? Waren Sie willensstark genug, neben Job und Familie noch regelmässig Sport zu treiben? Finden Sie, entgegen dem „ich mache alles falsch“-Trend, dass Sie sogar eine ausgesprochen gute Mutter oder guter Vater sind? Vielleicht können Sie gut malen und es gibt sogar Menschen, die Ihnen Ihre Bilder abkaufen, um sie an die Wand zu hängen? Vielleicht haben Sie gegen eine Krankheit angekämpft und gewonnen oder andere grosse oder kleinere Lebenskrisen gemeistert? Oder sind Sie stolz auf Ihre glückliche Ehe? Dass Sie aufgehört haben zu rauchen oder mit 41 noch mal eine neue Ausbildung begonnen haben? 

Und ist Ihnen eigentlich klar, was Sie in Ihrem Berufsleben schon alles gemeistert haben? Hier bitte keine falsche Bescheidenheit: Wir haben alle Grund, beruflich auf irgendetwas stolz zu sein. Haben Sie in der Vergangenheit vielleicht viel im Job erreicht? Oder sich schnell in einen neuen Job eingearbeitet? Die Qualität eines Produkts, einer Dienstleistung gesteigert oder Ihrem Arbeitgeber Anregungen dafür gegeben, die realisiert wurden? Neue Mitarbeiter eingearbeitet und Ihnen vielleicht sogar neue Kenntnisse vermittelt? Mit Ihren Ideen und Anregungen dem Unternehmen geholfen, Zeit und Geld einzusparen? Bei einem Projekt mitgewirkt oder es sogar geleitet? Den Kundenstamm vergrössert oder frühere Kunden zurückgewonnen? Bei der Entwicklung eines komplexen Konzepts mitgewirkt? In eine Produktentwicklung neue Ideen und Tipps eingebracht? Vereinbarte Ziele (fast) immer erreicht? Können Sie eine Fremdsprache oder etwas anderes besonders gut? Haben Sie sich beigebracht, Konflikten nicht immer um jeden Preis aus dem Weg zu gehen? Was haben Kollegen, Chefs, Mitarbeiter an Ihnen besonders geschätzt? Wofür haben Sie Komplimente, Lob und Bewunderung von anderen erhalten? Zu welchen beruflichen Themen wurden Sie öfter um Rat gefragt? Was hilft Ihnen besonders bei der Lösung von Aufgaben? Welche Charaktereigenschaften und Stärken schätzen andere an Ihnen besonders?

 

WAS IMMER SIE RICHTIG GEMACHT HABEN, GUT KÖNNEN ODER ERREICHT HABEN IN IHREM LEBEN: VERSCHLIESSEN SIE DAVOR NICHT DIE AUGEN, SONDERN SEIEN SIE STOLZ DRAUF!

 

Werfen Sie einen Blick in den Spiegel und machen Sie eine Bestandsaufnahme Ihrer Stärken und Erfolge. Für viele meiner Klienten beginnt beim Thema Erfolg das grosse Grübeln. Das liegt vor allem daran, dass negative Ereignisse oder Situationen viel länger und besser im Gedächtnis haften bleiben als positive. An die vielen schönen Dinge und Erfolge denkt man hingegen selten. Aber auch die Definition von Erfolg macht die Aufgabe nicht leichter. Denn was genau ist ein beruflicher Erfolg, was eine selbstverständliche Routine? Mein Tipp, suchen Sie nicht nach der Sensation, sondern nach Handlungen, die im Alltag zu guten Resultaten führten.

Wenn Sie sich schwer mit einer Bestandsaufnahme tun, fragen Sie Freunde, die eigenen Kinder, Ihren (ehemaligen) Chef, Kollegen, Bekannte, den Lebenspartner, einen vertrauten Menschen, welche Stärken und Erfolge sie Ihnen zuschreiben. Das führt häufig zu Aha-Erlebnissen. Das liegt daran, dass Mitmenschen oft Stärken in einem erkennen oder Erfolge sehen, die einem selbst gar nicht bewusst sind. Machen Sie sich Ihre Stärken und Erfolge bewusst. Einer meiner Klienten hat dies auf eine originelle aber effektive Art gemacht. Er hat Kärtchen mit seinen Stärken und Erfolgen beschriftet und diese dann in seinen eigenen vier Wänden verteilt gut sichtbar aufgehängt. Das hat ihm geholfen, seine Stärken und Erfolge in einer schwierigen Zeit nicht aus den Augen zu verlieren.

 

In meiner Berufspraxis erstaunt es mich immer wieder, wie oft Klienten ihre Stärken für selbstverständlich und kaum erwähnenswert halten. Und das, obwohl es nur wenige andere Menschen gibt, die ihrer Stärkenausprägung das Wasser reichen können. Andere Klienten wiederum können zwar ihre gängigen Schlüsselqualifikationen aus dem Schlaf herunterrattern, mir aber nicht nachvollziehbar darstellen, welche beruflichen Erfolge diese Stärken ermöglicht haben. Dabei sind es unsere Stärken, die unseren Erfolgen erst den Weg ebnen.

Rosa, 54 Jahre, macht hier keine Ausnahme. Als ich sie im Bewerbungscoaching danach fragte, was sie in ihrer Position als Leiterin Controlling denn getan habe, beschrieb sie mir ausführlich ihre Funktion, Zuständigkeiten und die Mitarbeiterzahl. Als ich sie nach konkreten Erfolgen und ihrer persönlichen Arbeitsweise befragte, fiel ihr die Antwort schwer. Da ich nicht locker liess, verwies sie letztendlich auf die Komplexität ihrer beruflichen Aufgaben, die sie nicht im einzelnen darstellen könne. „Aber das ist auch nicht nötig, denn jeder weiss ja, was man als Leiterin Controlling macht“.

Sicherlich hat Rosa recht, es ist allgemein bekannt, was ein Leiter Controlling macht. Nicht bekannt ist aber, was Rosa von allen anderen Leitern Controlling und vor allem auch von den "Jungspunden" auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet. Aber genau darauf kommt es für Ü50 Bewerber in Zeiten eines Arbeitskräfteüberangebots an. Glänzen Sie mit Ihren Stärken und Erfolgen. Machen Sie es einem betrieblichen Entscheider leicht und geben Sie ihm Kriterien an die Hand, warum die Entscheidung gerade auf Sie fallen soll. 

 

Punkten Sie auch bewusst mit Ihrem Alter. Ihr grosses Erfahrungswissen, das ist Ihr individueller Cocktail aus Fachwissen, Lebenserfahrung und dem Bewusstsein um die eigenen Stärken, ist Ihr grösstes Kapital im Bewerbungsprozess. Denn Ihr Erfahrungswissen trägt dazu bei, dass Sie auch in schwierigen beruflichen Situationen gelassen bleiben und diese routiniert meistern. Was früher eine grosse Herausforderung darstellte, bewerkstelligen Sie heute mit links. Sie wissen genau wie der Hase läuft. In vielen beruflichen (und privaten) Situationen sind Sie Gold wert. Sie kennen die typischen Arbeitsabläufe in Unternehmen und kennen auch mögliche Hürden und Stolperfallen. Das Arbeitsleben hält ungeahnte Fettnäpfchen und verborgene Tretminen bereit. Über einige von Ihnen sind Sie wahrscheinlich auch im Laufe Ihres Berufslebens gestolpert und haben sich anschliesslich doch irgendwie wieder aufgerappelt. Vermutlich haben Sie auch Fehler gemacht und daraus gelernt. Mittlerweile können Sie sich in vielen Situationen auf Ihr gutes Bauchgefühl und Ihre Intuition verlassen. Mit Ihrer Lebenserfahrung sind Sie viel besser als in jungen Jahren in der Lage, vieles, was im Managementalltag geschieht, kritisch zu hinterfragen und auch offen anzusprechen. Diese Eigenschaft, kritisch zu denken, ist für die Teamarbeit von unschätzbarem Wert. Viele Chefs im mittleren und oberen Management wünschen sich mittlerweile Mitarbeiter, die als echte Sparringspartner auftreten. Keine Blender und Ja-Sager, die nur ihre Karriere im Blick haben, sondern Menschen mit Lebenserfahrung, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Und wer weiss, vielleicht können Sie mit Ihrem Erfahrungswissen andere davor bewahren, die gleichen Fehltritte wie Sie zu begehen.

Aber es ist schon eine Crux mit dem Erfahrungswissen. Es ergeht ihm ähnlich wie den Erfolgen. Es gerät in Vergessenheit, es wird verdrängt oder wird als wertlos abgetan. Woraus besteht Ihr Erfahrungswissen? Was davon ist für den angestrebten Job wichtig? Vielleicht kommen Ihnen beim Brainstormen auch noch weitere Situationen in den Sinn, in welchen Sie im Vergleich zu jüngeren Bewerbern ganz klar im Vorteil sind. Servieren Sie Ihren Vorteil Erfahrungswissen im Bewerbungsschreiben und Vorstellungsgespräch auf dem Silbertablett. 

 

Nutzen Sie Ihr Wissen, Ihre Stärken, Erfolge und Lebenserfahrung im Bewerbungsprozess. Doch hierzu müssen Sie zuerst (an)-erkennen, wie wertvoll Sie als altes Eisen noch sind.

 

Ihre Ewa Vasseur von PeopleProjects 

 

 

 

 

 

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